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Der neue Allmen

Al­le Fo­tos Al­ber­to Venz­a­go

Ei­ni­ge von Ih­nen dürf­ten es längst ver­mu­tet ha­ben: Jo­hann Fried­rich von All­mens Zür­cher Lieb­lings­bar be­sitzt ein Vor­bild: die Kro­nen­hal­le Bar. Dort trifft er sich mit sei­nen Ver­ab­re­dun­gen vor der Oper oder zum „Song­dow­ner“ wie er es scherz­haft zu nen­nen pflegt, wenn sich die Auf­füh­rung et­was in die Län­ge ge­zo­gen hat.

Dort­hin be­gibt er sich auch, wenn er zu­fäl­lig ein­mal et­was knapp bei Kas­se ist, denn in ei­ner Bar ver­keh­ren meist groß­zü­gi­ge Men­schen und sol­che, die wis­sen, dass All­mens Bo­ni­tät manch­mal ge­wis­sen Schwan­kun­gen un­ter­liegt.

Oft hält sich All­men aber auch ganz al­lei­ne dort auf. Er liebt ih­ren Ge­ruch nach Holz, Schnitt­blu­men, Par­fums und Sorg­lo­sig­keit. Ihm be­hagt das Licht – hell ge­nug, um sich zu er­ken­nen, aber nicht so hell, dass man sich wie­der­erkennt. Auch die Tä­tig­keit, der hier nach­ge­gan­gen wird, ver­dient sei­ne Ehr­furcht. Es wird nicht ge­trun­ken. Aufs Sorg­fäl­tigs­te wer­den aus De­stil­la­ten, Aro­men, In­gre­di­en­zen und in Zu­be­rei­tungs­ri­tua­len Ge­trän­ke her­ge­stellt, die so­wohl den ku­li­na­ri­schen als auch den äs­the­ti­schen und den kul­tu­rel­len Be­dürf­nis­sen ge­nü­gen.

An ei­nem nass­kal­ten Tag im Herbst sitzt All­men auf sei­nem an­ge­stamm­ten Bar­ho­cker und spielt mit sei­nem Glas­un­ter­satz. Er nippt an ei­nem Old Fa­shio­ned. Nichts da­ge­gen ein­zu­wen­den, au­ßer dass es eben ein Old Fa­shio­ned ist. Kei­ne Exo­tik, kein Aben­teu­er, kei­ne Pas­si­on. Ein­fach so ein Drink mit Schirm­chen und Blüm­chen, wie ihn die Pen­sio­nä­re in Mi­ami Be­ach in leucht­far­be­nen Ber­mu­das trin­ken.

Vor ihm geht der Chef der Bar, Chris­ti­an Heiss, kon­zen­triert sei­ner Ar­beit nach. „Schmeckt’s nicht?“, fragt er bei­läu­fig.

„Doch, doch. Biss­chen old-fa­shio­ned halt. Nicht der Drink mei­ner Träu­me.“

Al­le Fo­tos Al­ber­to Venz­a­go

„Wovon träumen Sie denn, Herr von Allmen?“

All­men denkt nach. Me­xi­ka­ni­sche Wüs­te. Ein paar Kak­teen. Ein paar lee­re Ben­zin­fäs­ser. Ei­ne Bar mit Zapf­säu­le. Sein Ca­dil­lac Fleet­wood hat den Geist auf­ge­ge­ben. Aus der Bar dröhnt Can­ti­na-Mu­sik. Un­ter dem Ven­ti­la­tor tanzt ge­dan­ken­ver­lo­ren ei­ne me­xi­ka­ni­sche Schön­heit. Sie mus­tert ihn kurz, geht hin­ter den Tre­sen, mixt et­was und stellt es vor ihn hin. Er trinkt es. Un­be­schreib­lich. Kalt, herb, süß, rau­chig, frisch, fremd und doch ver­traut.

All­men schiebt das lee­re Glas zu­rück. Sie mixt ihm ei­nen neu­en. „Wie heißt du“, fragt sie.

„All­men.“

„Und das?“ Er deu­tet auf den Drink.

„All­men.“

Mit die­ser Schil­de­rung hat All­men den Ehr­geiz des Chef de Bar an­ge­sta­chelt. Im­mer wie­der sieht man ihn mit Es­sen­zen, Li­körs, Säf­ten, Schnäp­sen, Früch­ten und Tink­tu­ren ex­pe­ri­men­tie­ren wie ei­nen Zau­ber­lehr­ling.

Und im­mer wie­der über­reicht er All­men ei­ne klei­ne Pro­be des Re­sul­tats und fragt: „So?“

Doch jedes Mal schüttelt Allmen den Kopf. „Fast. Aber etwas fehlt.“

Wie wir al­le wis­sen, hat bei den größ­ten Er­fin­dun­gen oft der Zu­fall die Hand im Spiel. In die­sem Fall sind es so­gar zwei Zu­fäl­le: Jo­hann Fried­rich von All­men be­tritt höchst­per­sön­lich die klei­ne Kü­che des Gärt­ner­häus­chens. Er kann Car­los nir­gends fin­den, das Feu­er im Schwe­den­ofen ist aus­ge­gan­gen, und ihn frös­telt bei der Lek­tü­re. Er wüss­te zwar theo­re­tisch schon, wie man es wie­der in Gang setzt. Aber prak­tisch nicht so ganz. Auf der Su­che nach sei­nem Die­ner be­tritt er die Kü­che – und ein Duft strömt ihm ent­ge­gen, der ihn weit weg trägt in die fer­nen Län­der, die er be­reist hat.

Ma­ría steht vor ei­nem Holz­brett, das grün ge­tränkt ist von ei­nem Ge­würz­saft und zer­klei­nert die ent­stiel­ten Blät­ter in ra­sen­dem Tem­po.

„Was ist das, Ma­ría?“

„Cil­an­tro, Don John. Ich ma­che Gu­a­ca­mo­le. Das geht nicht oh­ne Ko­ri­an­der.“ Jo­hann Fried­rich von All­men beugt sich über das Brett, schnup­pert und ruft aus:

„Das! Das ist es, was fehlt!“

Noch am sel­ben Tag kos­ten sie die neue Re­zep­tur. Der Chef de Bar und sein Team und ein zu­fäl­lig an­we­sen­der Schrift­stel­ler las­sen sich in al­ler Form fei­ern und tau­fen den Cock­tail auf den ein­zig mög­li­chen Na­men:

Der Allmen Cocktail!

Die­se stim­mungs­vol­le, aber in­ti­me Cock­tail­tau­fe ist na­tür­lich ei­nem wie Jo­hann Fried­rich von All­men – wie wir ihn ken­nen, und wir ken­nen ihn ja – ein paar Num­mern zu klein. Nicht weil er zur Groß­spu­rig­keit neigt, das wä­re ihm zu or­di­när, son­dern weil er die Klein­ka­riert­heit fürch­tet.

Er be­schließt, den An­lass am sel­ben Ort, aber in be­deu­tend an­ge­mes­se­ne­rem Rah­men zu fei­ern und lässt in die Kro­nen­hal­le Bar bit­ten, das Vor­bild der Gol­den­bar. Und zwar im gro­ßen Stil an ei­nem Sams­tag, den 29. Fe­bru­ar. Be­son­de­re Er­eig­nis­se ver­lan­gen, wie wir al­le wis­sen, nach be­son­de­ren Da­ten.

Allmählich füllt sich die Bar.

Und sach­te kommt ei­ne Stim­mung auf wie in der First-Class-Bar ei­nes Oze­an­damp­fers kurz nach dem Ab­le­gen. Et­was Al­tes ist noch nicht ganz vor­bei, et­was Neu­es hat noch nicht ganz be­gon­nen.

Die ers­ten All­men-Cock­tails wer­den den Gäs­ten kre­denzt. Hüb­sche ge­schlif­fe­ne Cock­tail­scha­len, in de­ren zart grün­lich schim­mern­dem In­halt ein Eis­wür­fel düm­pelt, mit ei­nem Blätt­chen Ko­ri­an­der ge­schmückt.

Wir haben uns in der Gesellschaft diskret umgehört. Und vor allem Herrn von Allmen, den Gastgeber gesucht.

„Na, dann su­chen Sie mal schön.“

„Wie ich John ken­ne …“

„John?“ “

„So nen­nen Freun­de Jo­hann Fried­rich von All­men. Wie ich John ken­ne, taucht er je­den Mo­ment auf oder nicht.“